EINLEITUNG

"Tout le monde ne sait pas douter:

On a besoin de lumière pour y parvenir

et de force pour s'en tenir là."

Fontenelle

"Skeptical scrutiny is the means in both science and religion,

by which deep insights can be winnowed from deep nonsense."

Carl Sagan, Time Magazine 20 Oct. 1980, p.62

Schon mancher Wissbegierige hat die Erfahrung gemacht, dass man auf viele Fragen nur dann eine Antwort erhält, wenn man sie selbst erarbeitet. Auf diese Weise entstanden zahlreiche wissenschaftliche Werke, deren Ziel es in erster Linie war, die Neugier ihrer Autoren zu befriedigen. Das vorliegende Werk gehört dazu. Da ich in den Wörterbüchern keine zufriedenstellende Erklärung für die Bedeutung der Vogelnamen finden konnte, musste ich wohl oder übel meine eigenen Forschungen anstellen. Hirondelle [Schwalbe] geht, wie es heisst, auf lateinisch hirundo zurück. Und was nun? Haben die Römer etwa diesen Namen erfunden? Oder hatte Varron das letzte Wort mit seiner Behauptung, es handle sich um eine Onomatopöie? Gibt es keinen Ausweg aus dieser verzwickten Lage? Das Wort aigle [Adler] stammt vom lateinischen aquila ab: Ist diese Erklärung ausreichend? Für manche vielleicht, für den Wissbegierigen sicherlich nicht. Vor allem für die romanischen Sprachen wird in den Wörterbüchern nur der lateinische Ursprung angegeben. Wenn man jedoch den Dingen auf den Grund geht, muss man feststellen, dass es sich als praktisch unmöglich erweist, für eine Wortgruppe eine "lateinische" Wurzel festzustellen, sondern dass fast alle Wurzeln, die man als "lateinische", "germanische" oder sonstwie bezeichnet, in Wirklichkeit allen grossen europäischen - und manchmal sogar aussereuropäischen - Sprachgruppen gemeinsam sind. Das haben schon zahlreiche Linguisten vor mir festgestellt, von Pictet (1859) über Carnoy (1955) und zahlreiche andere bis Pokorny (1959). Warum also wiederholen, was bereits mit soviel Fachkompetenz gesagt wurde? Das, was ich hier den Forschern und Wissbegierigen zeige, ist ein anderer Weg zum Ursprung des europäischen Wortschatzes. Es ist eine einfache Methode - soweit es so etwas in einer so schwierigen und umstrittenen Wissenschaft wie der Linguistik überhaupt gibt.

Mit diesem Ziel habe ich begonnen, die Vogelnamen und ihre Varianten in über 30 Sprachen zu erfassen. Diese Sammlung umfasst jetzt mehr als 100.000 Bezeichnungen, wobei die rund 8.000 Namen aus den spanischen, portugiesischen, kreolischen und indianischen Mundarten Lateinamerikas nicht mitgerechnet sind. Neben den europäischen Sprachen habe ich die iranischen, kaukasischen und hamitosemitischen Sprachen einbezogen. Der Grund dafür liegt darin, dass sich diese Sprachenzone über die paläoarktische Region erstreckt, eine zoologisch-geographische Einheit, in der die meisten der europäischen Vogelarten, nämlich rund 450, vorkommen.

Warum Vogelnamen?

Als Ornithologe interessierte ich mich natürlich für die Bedeutung der Vogelnamen. Die Voraussetzung für die semantische Untersuchung von Vogelnamen sind gute Kenntnisse der Vögel in der Natur und ein Sprachgefühl für die Mundarten der Leute, die den Vögeln die Namen gaben. Ich hatte das Glück, meine Jugend in engem Kontakt mit der Natur zu verbringen, und mir dabei eingehende Kenntnisse über die Vögel und ihre Verhaltensweisen aneignen zu können. Dann war die Ornithologie 15 Jahre lang mein Beruf. Mein Interesse an Linguistik hat mich bei allen meinen Aktivitäten begleitet. Als Kind sprach ich den Dialekt der Menschen meiner Umgebung.

Die meisten Vogelarten findet man in dem Bereich, der allen betroffenen Sprachen gemeinsam ist. Ihre Merkmale sind unverändert geblieben, seit sie dem Menschen bekannt sind. Die Vögel sind also gemeinsame Bezugspunkte, die man mit den Wörtern, die sie bezeichnen, in Beziehung bringen muss. Diese Merkmale sind auch leichter zu bestimmen als beispielsweise bei den Pflanzenarten. Die Gründe für diese Wahl sind auch biologischer und ethischer Natur. Die Vögel unterscheiden sich von den anderen Tieren durch ihre Schreie und ihren Gesang - und durch das grosse Interesse, das ihnen die Menschen entgegenbringen. Deshalb sind ihre Namen zum Grossteil Bezeichnungen akustischen Ursprungs.

Wie die Vögel zu ihren Namen kamen

Die Namensgebung der geflügelten Welt entspringt der gleichen Notwendigkeit wie die Entstehung der Sprache - den Dingen einen Namen zu geben. Die Vögel erhielten zuerst eine allgemeine Bezeichnung: das Fliegende, das Singende, das Gefiederte. Dann hat man veschiedene Gruppen unterschieden: Vögel, die schwimmen oder tauchen (Ente, duck), jene, die fangen (hawk, rapaces Raubvögel) und dann, wenn es um die Unterscheidung von Arten ging: der schwarze Vogel (merle Amsel, blackbird), der buntscheckige (Meise, mésange) oder der, der mit dem Schwanz wackelt (wagtail, hochequeue, Bachstelze).

Es ist nicht immer einfach, eine Beziehung zwischen einem Wort und einem der Merkmale des Vogels herzustellen. Eine rigorose Arbeit ist nur möglich, wenn sich die Vergleiche auf ein grosses geographisches Gebiet und auf zahlreiche Sprachen erstrecken.

Oft ist nur das Wort in Gebrauch geblieben, während die Bedeutung des Attributs in Vergessenheit geraten ist: plomb, palombe, colombe wurden nach ihren Farben benannt, während der Name der Farbe in den regionalen Mundarten nur noch in Restformen erhalten ist, sie Anhang ð3.1.39.1 Die Pie [Elster] ist in Frankreich gut bekannt, das Wort pie, das die Farbe bezeichnet, wird jedoch kaum noch verwendet, während es im Englischen noch durchaus lebendig ist. Im slawischen netopyr [Fledermaus] ist noch das albanische natë [Nacht] zu erkennen, so wie im slawischen nemec [Deutscher] der italienische nemico [Feind] zu erkennen ist. Das gleiche gilt für gluxar, die slawische Bezeichnung für mehrere Vögel, die glucken (aber keineswegs taub sind, die heutige slawische Bedeutung des Wortes). Im slawischen slonka [Schnepfe, Brachvogel] entdeckt man die Bedeutung von "long" (vgl. engl. lanky), eine Anspielung auf den langen Schnabel dieser Arten. Es gibt also Tier- oder Sachnamen, die fortbestehen, während die Eigenschaftswörter durch solche ersetzt wurden, die unerlässlich waren für die Kommunikation mit dem Volk, dessen Sprache sich als dominierend durchsetzte (Superstrat).

Aber erinnern wir uns an die Worte von Auguste Briton: "Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen Sprachen und Dialekten, sondern eher ein unterschiedliches Schicksal. Eine Sprache ist ein Dialekt, der erfolgreich war". Das ist keineswegs ein Grund, die regionalen Mundarten zu vernachlässigen - ganz im Gegenteil. Ich mache meinerseits keinen Unterschied zwischen Sprachen und Dialekten. In dieser Studie werden alle Sprachen als gleichrangige Idiome betrachet, mit dem einzigen Unterschied, dass Lehnwörter in Dialekten viel seltener sind, was sie um so zuverlässiger macht. Aus diesem Grund habe ich auch den Ausdruck "regional" statt dem mit einer eher abschätzigen Bewertung behafteten "Patois" oder "Dialekt" mit einem Unterton von Minderwertigkeit verwendet. Hier ist noch zu vermerken, dass die meisten in den lokalen Mundarten gesammelten Wörter so alt sind wie diejenigen, die in den sogenannten alten Sprachen belegt sind. Wir haben zwar keinen schriftlichen Beweis dafür, aber diese Tatsache ergibt sich deutlich aus ihrem Studium.

Für den Zweck dieser Studie war es notwendig, zwischen den - relativ seltenen - eigentlichen lautmalerischen oder onomatopöischen Namen, und den expressiven Namen akustischen Ursprungs zu unterscheiden. So ist zwar coucou [Kuckuck] eine perfekte Onomatopöie, gowk oder geguza hingegen nicht, obwohl sie akustischen Ursprungs sind. Tordo, buse, milan, filomèle sind expressive Wörter akustischen Ursprungs, jedoch keine Onomatopöien oder Nachahmungen. Ferner sind noch die Mimologismen zu unterscheiden, Bezeichnungen, die in Schreibweise oder Aussprache einem Wort mit Bedeutung angeglichen wurden: tantendurmi,philippe, jack, jacob, markolf, louis, bernard, maria, margot, margarita, ivan, charlo, gérardine, bertrand, claude, aubin, patrick, isaac. Dabei ergibt sich eine Beziehung zwischen der Stimme oder einem bestimmten Merkmal des Vogels und einem ähnlichen Artikulationselement - ein sogenannter Mimologismus. Diesem Phänomen begegnet man auch auf anderen Gebieten in einer Schreibweise, durch die eine volksetymologische Bedeutungsverwandtschaft suggeriert wird: à tue-tête, Wurzel t-t, siehe Anhang ð5.29.1., beaucoup Wurzel b-k ð4.5.23.1., saint-guy Wurzel s-g ð6.3.10.1, pot-pourri Wurzel p-p ð6.2.23., bout-de-z'en Wurzel p-dz ð9.2.2. Alle Erklärungsversuche für diese Namen waren zum Scheitern verurteilt, denn man suchte nach Metaphern oder aus der Orthographie abgeleiteten Definitionen, statt die Wurzel des gesprochenen Wortes festzustellen und sie einer Kategorie zuzuordnen (akustisch etc.). Die Metonymie, d.h. die Benennung eines Gegenstands, einer Frucht etc. nach einem Ort (vgl. damas ð3.3.14.11.) oder einer Person kommt bei Vogelnamen praktisch nicht vor (Ausnahmen: dinde, turkey, importierte Arten) und ist auch sonst selten. Dieses Phänomen ist ausserdem relativ jung.

Ich habe nicht die Absicht, auf die zahlreichen abenteuerlichen Etymologien oder Totgeburten, wie man sie auch genannt hat, einzugehen. Sie einzeln widerlegen zu wollen, würde dieses Werk ungebührlich verlängern. Zur Begründung ihrer Interpretation sehen manche Autoren in einem Namen Eigenschaften, die der Vogel nicht hat, oder sie ignorieren Eigenschaften, die er besitzt. Um dem Leser meinen diesbezüglichen Standpunkt zu verdeutlichen, werde ich einige von den jüngsten Beispielen anführen (es wäre für die Autoren kaum schmeichelhaft, wenn ich sie namentlich erwähnen würde):

Das katalanische gruneta "Schwalbe" wird auf grua [Kranich] + oroneta [Schwalbe] und ogroneta aus agro [Reiher] + oroneta zurückgeführt. Im Spanischen heisst der Reiher garza - angeblich wegen seiner blauen Augen (was falsch ist). Katalonisch xerxet Krickente soll von cerco kommen, weil dieser Vogel "einen blauen Ring um die Augen" hat (was falsch ist). Die Ente soll im Slawischen deshalb patka heissen, weil sie pat pat macht, der Puter puta, weil er put put macht! Der courlieu [Brachvogel] soll so heissen, weil er umherläuft "court les lieux". Der martin-pêcheur [Eisvogel] soll so heissen, weil er fliegt wie ein martinet [Segler] (falsch), oder er soll nach Mars benannt worden sein wegen der Tapferkeit und Kühnheit, mit der er sich bekanntlich auf Raben, Falken und Adler (!) stürzt. Die Bachstelze soll im Spanischen aguanieve heissen, weil sie im Wasser lebt und einen Schneeweissen Bauch hat, sowie aguzanieve (der gleiche Autor) "avecilla que en días de nieve, busca debajo de esta con su pico aguzado los gusanos y semilla de que se alimenta". Und noch einige Kuriositäten: picus soll die männliche Form von pica sein, grolle das Weibchen von corneille [Krähe] und chouette [Kauz] das Weibchen von hibou [Eule] (falls es einem gelingt, sie zu unterscheiden). Schliesslich ist noch Gaiera zu zitieren, dem es gelingt, das baskische Wort txori "Vogel" von einem hypothetischen lateinischen avicella abzuleiten!

Es wurde zu oft versucht, eine Beziehung zwischen zwei Vogelnamen herzustellen - egal von welchen Vögeln - vorausgesetzt, dass diese Namen den "Gesetzen der Phonetik" gerecht werden. Zwei Vogelnamen sind nicht unbedingt verwandt, weil sie diesen "Gesetzen" entsprechen.

Nun ist diese Arbeit aber keine Sammlung sonderbarer Etymologien (die schon in den Wörterbüchern der Nachwelt erhalten werden!). Ich verzichte darauf, auf Hirngespinste einzugehen. Stattdessen werde ich mich mit einem argumentum ex silencio begnügen und eine vernünftige und logische semantische Erklärung vorschlagen. Das heisst, dass mir alle diese "Etymologien" bekannt sind und dass sie stillschweigend mit den Paradigmen widerlegt werden.

Abgesehen von Namen akustischen, chromatischen oder kinetischen Ursprungs wurden die Vögel auch nach anderen als den eigenen Merkmalen benannt: nach den Orten, an denen sie sich aufhalten, ihrem Habitat: den Wiesen, den Büschen, den Ufern etc.; nach ihren Gewohnheiten: Sind sie Schwimmvögel? Nach ihrer Nahrung: Leben sie von Körnern, Fischen, Geflügel? Nach den Orten, an denen sie nisten: in Hohlräumen, am Boden, unter den Dächern? Nach der Form ihres Nests: rund, gemauert, geflochten? Nach verschiedenen anderen Merkmalen: Sind sie Zugvögel, treffen sie zu einer bestimmten Jahreszeit ein, stammen sie aus einer bestimmten Region?

Wer hat die Vogelnamen gesammelt?

In erster Linie die Ornithologen, die mit der bodenständigen Bevölkerung in Kontakt waren, d.h. Menschen, die sich als Laien für verschiedene Aspekte der Vogelkunde interessierten. Das war die beste Quelle, denn sie waren in der Lage, den festgestellten Namen der richtigen Art zuzuschreiben, abgesehen von den Zuweisungsirrtümern, auf die später eingegangen wird. Zweitens die Dialektologen, die die Gabe haben, sehr alte und wenig gebräuchliche Namen zu entdecken, die nur isolierten Bevölkerungsteilen bekannt sind. Die Zuweisung des Namens an die Vogelart ist jedoch oft sehr ungewiss. Das ist vor allem in den Sprachatlanten festzustellen.

Eine der angewandten Methoden besteht darin, die Namen aus vorhandenen Sammlungen von Zeugen aussprechen oder sogar übersetzen zu lassen, was gewisse Befrager, so mein Verdacht, gemacht haben dürften. Diese Methode ist zwar sehr ergiebig, denn man erhält damit zahlreiche Varianten, aber sie ist nicht authentisch genug: Weder der Befrager noch der Zeuge brauchen den betreffenden Vogel zu kennen oder auch nur zu wissen, ob diese Art in der untersuchten Region vorkommt!

Wenn man Namen sammeln und dabei Zuweisungsfehler möglichst vermeiden will, muss man den Vogel, seinen Gesang, seine verschiedenen Rufe, seine Färbung und ihr Muster (pattern), seine Form, sein Habitat und seine Nistart kennen. Fehler wird es trotzdem immer geben, deshalb lohnt es sich, auf einige von ihnen einzugehen.

Zuweisungsfehler von Namen und ihre Ursachen

Dieses Buch enthält laufend Hinweise auf falsch zugeordnete Namen, die jeweils nach den einzelnen Sprachen in eckigen Klammern angeführt sind. Einer der Gründe für Zuweisungsfehler - und mittlerweile auch der häufigste - liegt darin, dass man einen Namen findet und dann in einem ornithologischen Werk nachschlägt, welcher Vogelart dieser Name zuzuweisen ist. Auf diese Weise wurden die Namen des Roitelet [Zaunkönig] (wissenschaftlicher Name Troglodytes troglodytes) sehr oft dem Regulus zugewiesen, den Cuvier einem ganz anderen Vogel gegeben hatte. Calandra wurde der Kalanderlerche (wissenschaftlicher Name Calandra) und Calandrella der Kurzzehenlerche (wissenschaftlicher Name Calandrella) zugewiesen, während sich diese Namen und ihre Varianten alle auf die Feldlerche (Alauda arvensis) beziehen.

Hier sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die ersten Naturforscher - einschliesslich Linné, der seine Vogelbälge in Schweden erhielt - die Namen, die sie über mehrere Mittelspersonen erfuhren, nicht genau zuweisen konnten. Darüber hinaus stimmte ihr Gattungsbegriff nicht mit dem heutigen überein. So gab Linné den Namen Motacilla mehreren Arten, die heute in die Gattungen Anthus, Oenanthe, Saxicola und Phoenicurus eingeordnet sind. Das erklärt, warum die Namen der Bachstelze (die heute als einzige den Gattungsnamen Motacilla trägt) von den Verwendern der Linné-Nomenklatur diesen verschiedenen Arten zugewiesen wurden. Weitere Gattungs- oder Artnamen, die in der Ornithologie falsch zugewiesen wurden: Regulus, englisch Goldcrest, ist die lateinische Übersetzung von roitelet [Zaunkönig]. Puffinus, englisch Shearwater, ist ein Name von Fraterculus, englisch Puffin [Sturmtaucher]. Picus martius "pic noir" ist ein Name des Buntspechtes Picoides major. Passer montanus sollte ein Name des Bergfinks und nicht des Feldsperlings sein, der gar nicht in den Bergen vorkommt. Porzana "Tüpfelsumpfhuhn" ist ein Name der Wasserralle Rallus aquaticus. Turdus musicus ist ein Name der Singdrossel, heute Turdus philomelos, der aber aufgrund einer Verwechslung der Rotdrossel zugeteilt wurde. Sylvia hortensis "Orpheusgrasmücke" beschreibt die Gartengrasmücke Sylvia borin. Saxicola verweist auf den Steinschmätzer heute Oenanthe. Sylvia curruca Klappergrasmücke sollte ein Name der Dorngrasmücke Sylviacommunis sein.

Die häufigsten Verwechslungen sind die von spezifischen Benennungen von oft ziemlich ähnlichen Arten, die derselben Gattung angehören. So sind litorne und mauvis Namen der Singdrossel. Bruant und tarin sind Namen des Grünfinken. Courlieu ist eine andere Bezeichnung für den Grosser Brachvogel. Verderolle ist ein Name des Gelbspötters. Bécassine sourde ist ein anderer Name für die Sumpfschnepfe. Der italienische Name balestruccio für die Uferschwalbe ist ein Name des Seglers. Der im Deutschen dem Baumfinken zugeschriebene Name Buchfink ist eine Bezeichnung des Nordfinks, der sich typischerweise in den Buchenwäldern aufhält, usw. Eine besonders grosse Verwirrung herrscht bei den Raubvögeln, vor allem seit der Zeit der Falkenjagd, über die zahlreiche Schreiber berichteten. Auch bei den Eulen sind die Verwechslungen beträchtlich, weil man diese Vögel zwar hört, aber nicht sieht, sowie bei den Sumpfvögeln (Brachvogel, Schnepfe, Moorschnepfe, Strandläufer, Rallen, Wasserläufer und Regenpfeifer), bei den Enten, Möwen und Seemöwen. Frz. hobereau, engl. hobby sind in Wirklichkeit Namen des Bussards. Frz. émerillon, engl. merlin sind Namen des Sperbers. Falke und Sperber sind Sammelnamen für alle diese kleinen Raubvögel. Adler, aquila sind Sammelnamen für die grösseren Raubvögel. Geier ist im Deutschen ein Sammelname für mehrere Raubvögel, insbesondere den Habicht, darf aber nicht mit "vautour oder Aasgeier" übersetzt werden, da diese Art in den deutschsprachigen Ländern nicht vorkommt.

Ich mache kein Hehl aus meiner Verachtung für diese Lehnübersetzungen, von denen es in ornithologischen Abhandlungen geradezu wimmelt, wie zum Beispiel frz. ardéebotaure (für das alte Ardea botaurus) oder frz. sylvie currique [Klappergrasmücke] (für Sylvia curruca). Derartige ebenso unnütze wie irritierende Erfindungen wurden zu neuem Leben erweckt im Werk von Livory (1985), der allerdings, wie ich betonen möchte, nicht der Urheber dieser Lehnübersetzungen ist.

Manche von diesen Lehnübersetzungen sind - leider - noch heute gebräuchlich: troglodyte (für den Zaunkönig, der in den frankophonen Ländern mehr als 1000 Namen hat), phragmite (ein Pflanzen- und nicht ein Vogelname), tichodrome (für einen der grazilsten Vögel Europas) sowie frz. circaète, percnoptère, puffin, oedicnème und hypolais. Im Interesse der sprachlichen Klarheit und Harmonie - und im Bewusstsein, dass ich damit den Zorn und die Verachtung französischsprachiger Ornithologen auf mich ziehe - habe ich mir in diesem Werk erlaubt, diese fremden und pseudo- "wissenschaftlichen" Namen, die in ornithologischen Werken verwendet werden, durch vorhandene französische Namen zu ersetzen. Diese Vorgehensweise ist im übrigen unbedenklich, denn ein Ornithologe wird trotzdem wissen, dass es sich bei dem vautour blanc [Schmutzgeier] um den Neophron percnopterus handelt, und der Linguist wird wissen, dass er es mit einem Vogel und nicht mit einer Pflanze zu tun hat, wenn von einer rousserolle [Rohrsänger] statt von einem phragmite die Rede ist.

Zahlreiche Druck- oder Lektoratsfehler wurden korrigiert, soweit es möglich war, sie festzustellen. Niemand wird jedoch bezweifeln, dass dieses Werk noch von weiteren Lektoratsfehlern behaftet ist, für die ich als Entschuldigung nur das enorme Ausmass des Unterfangens anführen kann.

Apologie des einfachen Landmenschen

Ornithologen und Vogelbeobachter gehen nur allzu häufig von der Annahme aus, dass die volkstümlichen Namen schwerfällig, überflüssig oder irreführend seien, ohne sich darüber im klaren zu sein, dass der "offizielle" Name, der ihnen auferlegt wurde, nur einer aus dem reichen und bunten Repertoire ist, das im Laufe der Jahrhunderte und gar der Jahrtausende von Völkern angelegt wurde, die in einem engeren Kontakt zur Natur standen als die meisten heutigen Ornithologen aus der Stadt. Dem Wendehals wurden viele Namen gegeben, die sich auf seine Gewohnheit beziehen, sich von Ameisen zu ernähren. Aber wie viele von unseren Zeitgenossen - Linguisten, Dialektologen und, sagen wir es offen, Ornithologen - haben schon einen Wendehals dabei beobachtet, wie er sich von Ameisen ernährt?

In Ornithologenkreisen wurde wiederholt behauptet, Bauern seien nicht neugierig, sie seien unwissend usw. Sind die 100.000 Namen, die hier aufgelistet wurden, nicht ein unwiderlegbarer Beweis für das Gegenteil sowie ein eklatantes Zeugnis für ihre Kenntnisse der Natur?

Quellen

Diese Studie stützt sich vor allem auf den Wortschatz von Dialekten. Es sind die der Scholle und dem Meer verbundenen Menschen, die den Dingen der Natur ihren Namen gaben, so wie sie die Sprachen geschaffen haben, die wir sprechen. In ihrem Wortschatz muss man nach der Bedeutung dieser Namen suchen. Gewiss muss man auch die Literatur, d.h. die geschriebene Sprache, auswerten, d.h. Gedichte, Lieder, Archive, historische Erzählungen usw. Diese Methode hat ihre Vorteile, aber auch sehr grosse Nachteile. Die Dichter und Schreiber haben für ihren Wortschatz oft Anleihen aus fremden Sprachen, vor allem dem Griechischen oder Lateinischen, gemacht. Diese Lehnwörter können einen falschen Eindruck von der geographischen Verbreitung eines Ausdrucks vermitteln. Und zwar um so mehr, als der genaue Ursprung der zitierten Namen nur selten oder sehr vage angegeben wird und der bezeichnete Gegenstand nicht immer identifizierbar ist.

Die Tatsache, dass das "altfranzösische" aronde zum ersten Mal im LaChanson de Roland belegt ist, heisst nicht, dass der Name damals in ganz Frankreich bekannt war. Es bedeutet lediglich, dass der Autor den Namen verwendet hat, der ihm aus seiner Mundart bekannt war, nämlich vom Berry bzw. der Champagne, wo dieser Name noch heute verwendet wird.

Die richtige Zuweisung von Namen in der alten Literatur ist äusserst ungewiss, und zwar um so ungewisser, je älter der Text ist. Die Schreibweise ist oft irreführend und mit Vorsicht zu behandeln. Der schreibenden Zunft ging es damals um das Erzählen historischer Fakten und nicht um die Rechtschreibung von Wörtern, die noch in keinem Wörterbuch vorkamen. Deshalb ist man bei den alten Griechen, den lateinischen Dichtern und vor allem bei den Schreibern des Mittelalters auf die verwegensten Orthographien gestossen, die einen Etymologen in die Irre oder auf eine falsche Fährte führen können.

Meine allerersten Forschungen bestanden darin, zuerst die ornithologischen Arbeiten durchzugehen und dabei die "offiziellen" Namen auszuklammern, die oft künstliche Wortschöpfungen sind - "fabricate din birou" (in einem Büro entstanden), wie es mein eminenter Kollege Mihai Bâcescu (1961) ausgedrückt hat. Sind die in den ornithologischen Abhandlungen veröffentlichten Namen Lehnwörter jüngeren Datums oder stammen sie aus den Dialekten? Im letzteren, uns interessierenden Fall, ist es wichtig, die geographische Verbreitung des Namens in den Mundarten festzustellen. Ich habe eine nahezu erschöpfende Auswertung der ornithologischen Schriften vorgenommen. Nur einige wenige, unauffindbare lokale Veröffentlichungen sind meinen Recherchen entgangen.

Die dialektologischen Studien haben eine sehr grosse Zahl von Namen mit ihren Varianten ergeben. Leider sind die Zuweisungsfehler sehr häufig, oder der Name ist lediglich als der "eines kleinen grauen Vogels wie der Sperling" oder "ein Vogel, der im Gebüsch lebt und sich von Insekten ernährt" etc. definiert. (Im Anhang 2.2.0 sind Beispiele angeführt.) Viele von diesen dialektologischen Publikationen sind sehr lokaler Natur, oft alt und unauffindbar, vor allem in den slawischen Sprachen. Einige persönliche Untersuchungen wurden im (französisch- und deutschsprachigen) Wallis, im Aostatal, im Baskenland, in Jugoslawien (Kosovo-Albanisch), in Griechenland und im Iran (Belutschi) durchgeführt.

Ein Vorteil dieses Werks besteht darin, dass es allen Linguisten und Ornithologen die Bezeichnungen von Vögeln, Dingen, Farben etc. in nichtromanischen Sprachen und Schreibweisen wie dem Georgischen, dem Arabischen, dem Armenischen, dem Griechischen, dem Persischen oder dem Russischen, zugänglich macht.

Diese Wortschatzsammlung wirft auch ein neues Licht auf die prä- oder protohistorischen Bewegungen der europäischen Völker. Eine Ähnlichkeit der Vogelnamen in der französischen Schweiz und der Gascogne weist zum Beispiel darauf hin, dass es zwischen diesen beiden Gegenden Bevölkerungsbewegungen gegeben hat. Diese Ähnlichkeiten werden manchmal durch archäologische oder historische Tatsachen untermauert.

Dieses Buch stellt nicht den Schlusspunkt dieser Forschungen dar, sondern eine solide Grundlage, die für zukünftige Linguisten und Dialektologen ein wertvolles Arbeitsinstrument sein wird.

Schliesslich - und das ist nicht der unwichtigste Aspekt - hat diese Wortschatzsammlung mit Tausenden von Namen, die in unbekannten Publikationen verborgen sind oder von einer aussterbenden Generation mündlich erfragt wurden, einen bewahrenden Charakter. Ausdrücke, für deren Formung die Menschheit Jahrtausende gebraucht hat, bleiben so im sprachlichen europäischen Kulturschatz erhalten.

Paradigmen als Hilfsmittel der semantischen Forschung

Die Phylogenie der Tier- und Pflanzenarten hat mich mit ihrer Komplexität schon immer fasziniert. Deshalb ist es nur natürlich, dass ich die Entwicklung von Wörtern wie die von Lebewesen bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen wollte: Das Studium der Evolution der Wörter ist tatsächlich eine phylogenetische Untersuchung. Mann kann für Wörter, genauso wie für Lebewesen, Stammbäume erstellen. Siehe insbesondere J.B. Kruskal, I. Dyen & P. Black, The vocabulary method of reconstructing language trees: innovations and large-scale applications, p. 361-380 in Mathematics in the archaeological and historical sciences. Proc. Anglo-Romanian Conference, Bucarest, 1970. University Press, Edinburg, und D. Penny, E.E. Watson & M.A. Steel,. Trees from languages and genes are very similar. Systematic Biology 42: 382-384 (1993).

Nachdem ich meine Studien mehr als ein Vierteljahrhundert betrieben habe, ist es mir eine Genugtuung festzustellen, dass die von mir erarbeitete Methode, unabhängig von mir auch von anderen Autoren angewandt wurde. In seinem Vorwort zu Structures étymologiques du lexique français von Pierre Guiraud (1986) hat A. Rey sie wesentlich kompetenter formuliert. Ich gebe zu, dass es für mich ermutigend ist, nach lebenslanger Forschung mit einer Zielrichtung festzustellen, dass ich diesen Weg nicht als einziger eingeschlagen habe. Guiraud hat die Prinzipien der strukturellen Methode besser formuliert, als ich dazu in der Lage wäre. Wichtig ist vor allem, dass man diese Fragen ohne Systemgeist, ohne Vorurteile irgendwelcher Art und ohne Konzessionen an die allgemeingültige Meinung angeht.

Der zweite Teil dieses Werks besteht aus Anhängen mit Paradigmen, d.h. Bezeichnungsgruppen, die an einem Punkt der gesprochenen Sprachkette auftreten können. Aus diesen Wortentwicklungen lassen sich genetische Strukturen herleiten, in denen die Semantik beinahe aller europäischen Vogelnamen sowie von Tausenden anderen nach morpho-semantischen Kategorien definierten Ausdrücken - Namen von Farben, Gegenständen oder Tieren - anzutreffen ist.

Wie alles, was uns umgibt, wurden auch die Vögel nach ihrer Farbe, ihrer Form, ihren Bewegungen, den Lauten, die sie von sich geben, d.h. nach chromatischen, morphologischen, kinetischen und akustischen oder phonetischen Gesichtspunkten oder nach ihren verschiedenen Verhaltensweisen benannt. Jedes dieser Merkmale kann durch Grundmuster, d.h. Matrizen oder Elementarstrukturen, dargestellt werden, die eine Typologie des europäischen Wortschatzes bilden können. Auf diese Weise können wir uns die Bildung hypothetischer indogermanischer oder "proto-indogermanischer" Wurzeln ersparen. "Die Zuhilfenahme des Quantitativen erspart die Abstraktion" (A. Rey). Die Existenz der Seme wird durch statistische Eigenschaften gewährleistet. Das Wort ist eine mit einem Sinn verbundene Form. Die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat gehört zu einem Paradigma, das von der Menge aller nach dem gleichen Vofbild konstruierten Wörter gebildet wird. Diese signifikante Beziehung wird definiert durch eine bestimmte Zahl von Bedingungen sowie präzisen und - soweit sie sich wiederholen - konstanten Merkmalen, d.h. durch Gesetze. Die Etymologie ist nicht mehr das Studium einzelner Wörter, sondern das von Modellen oder Strukturen (Guiraud). War die Etymologie bisher das Studium der Wörter, so befasst sie sich nunmehr mit der Idee.

Diese Methode der semantischen Analyse basiert auf der sinnlichen Wahrnehmung von sehr genau definierten Eigenschaften, aufgrund derer ursprünglich einem Vogel sowie Gegenständen oder Tieren mit ähnlichen Eigenschaften ein Name zugewiesen wurde. Jede der Grundlagen, auf denen die von mir vorgeschlagene Methode beruht, ist der Ausdruck unserer Sinne.

Die wichtigsten Grundlagen, die uns betreffen, sind:

Sinn Sinn

Sinn

Grundlage Grundlage

Grundlage

Gehörsinn: akustischer Eindruck Gehörsinn: akustischer Eindruck

Gehörsinn

: akustischer Eindruck
akustisch akustisch

akustisch

  
  chromatisch chromatisch

chromatisch

Gesichtssinn: optischer Eindruck Gesichtssinn: optischer Eindruck

Gesichtssinn

: optischer Eindruck
kinetisch kinetisch

kinetisch

  morphologisch morphologisch

morphologisch

  
Tastsinn: Tasteindruck Tastsinn: Tasteindruck

Tastsinn

: Tasteindruck
morphologisch morphologisch

morphologisch

  
  (Bei Vogelnamen selten) (Bei Vogelnamen selten)

(Bei Vogelnamen selten)

Geruchsinn: Gerucheindruck Geruchsinn: Gerucheindruck

Geruchsinn

: Gerucheindruck
Beisp.: engl. musk, dt. Most, Beisp.: engl. musk, dt. Most,

Beisp.: engl. musk, dt. Most,

  Frz. moût, moutarde, und émoustiller Frz. moût, moutarde, und émoustiller

Frz. moût, moutarde, und émoustiller

  
Geschmacksinn: Geschmackeindruck Geschmacksinn: Geschmackeindruck

Geschmacksinn

: Geschmackeindruck
Kommt bei Pflanzennamen, aber nicht bei Vogelnamen vor. Kommt bei Pflanzennamen, aber nicht bei Vogelnamen vor.

Kommt bei Pflanzennamen, aber nicht bei Vogelnamen vor.

Das erste Problem, auf das man stösst, ist das der Identifizierung und Definition von lexikalischen Kategorien, d.h. von morpho-semantischen Kategorien, wobei das lexikalische Zeichen die Verbindung zwischen einer Form und einer Bedeutung ist. Zuerst muss man die jeweilige Entstehungsweise (optisch, akustisch etc.) feststellen. Diese wesentlichen Unterscheidungen erleichtern die Erstellung eines Paradigmas, indem sie alle Ausdrücke mit einer gleichen Gedankenkategorie verbindet und folglich alle Ausdrücke ausscheidet, die dieser Einheit fremd sind. Guiraud war sehr nahe daran, es zu tun, scheute jedoch noch vor dem letzten Schritt zurück, der vollständigen Trennung der Wahrnehmungsweisen. So kann man zum Beispiel auf der Wachtel-Liste auf der Seite 57 sofort eine Gruppe akustischen Ursprungs und eine Gruppe optisch-chromatischen Ursprungs unterscheiden, und zwar:

Die linke Gruppe bezieht sich auf die Farbe (die Kröte ist nicht geschwätzig, und eine der weitverbreiteten Arten ist durch einen gelb und schwarz gefleckten Bauch gekennzeichnet). Die rechte Gruppe bezieht sich auf die Stimmen dieser Arten (der Sturmvogel und die Grasmücke sind nicht gescheckt, aber beide sind auf ihrem Gebiet sehr geschwätzig). Ein kinetischer Ursprung ist von vornherein auszuschliessen (keines dieser Tieren hat charakteristische Bewegungen, die der ganzen Gruppe gemeinsam sind).

Desgleichen lassen sich auf den Seiten 171-172 die von Guiraud angegebenen Ausdrücke rationeller kategorisieren:

1. Wurzel chromatischen Ursprungs:

2. Wurzel morphologischen Ursprungs: kleine abgerundete oder spitze Dinge: chiquet [Baumwipfel]; frz. chique [kleines Stück, Priem] etc. (daher déchiqueter [in kleine Stücke zerpflücken]; chiquer (mâcher une chique [Tabak kauen]) ist nur eine verbalisierte Form.

3. Wurzel akustischen Ursprungs:frz. chicaner [streiten], prov. chica [schwätzen].

4. Wurzel kinetischen Ursprungs:

Mit diesen Kriterien lassen sich vier Grundlagen unterscheiden, die in keiner semantischen Beziehung zueinander stehen. Die Ähnlichkeit der Ausdrücke beruht auf phonetischer Konvergenz. Von den oben angeführten vier Wurzeln abgeleitete Ausdrücke sind in fast allen europäischen Sprachen anzutreffen (siehe Anhänge 3.3.8.3/4.1.10/5.13.1./6.3.10).

Im allgemeinen lassen sich die meisten Wörter in eine der Kategorien einordnen, man muss jedoch die untersuchten Objekte gut kennen. In dem oben angeführten Fall caillotin könnte man zögern: der Fink ist bunt, aber er ist auch geschwätzig. Hier kann die geographische Lage helfen: Die chromatische Bedeutung von caille ist eher südlich, die akustische Bedeutung [von caillotin] eher nördlich. Die Analyse der anderen Namen der Art ist meistens ausschlaggebend für die Zugehörigkeit der phonetisch konvergenten Ausdrücke. Die phonetische Konvergenz war es auch, die Guiraud veranlasste, diese Audrücke in ein und derselben Gruppe zusammenzufassen.

Die Schwierigkeit, wenn es überhaupt eine gibt, besteht darin, die Ausdrücke mit der Eigenschaft in Verbindung zu bringen, die das gemeinsame Charakteristikum darstellt. Das hat bisher kein einziger Lexikologe methodisch durchgeführt, mit Ausnahme von Sadnik & Aitzetmüller (1975), deren Werk leider unvollendet blieb.

Diese Methode hat darüber hinaus den Vorteil, dass sich all die langweiligen Hypothesen erübrigen, in die sich viele Etymologen verstiegen haben. Stattdessen wird versucht, die Verwandtschaft homophoner Ausdrücke nachzuweisen. Meistens bedient man sich dabei der Metapher. Bis in die jüngste Vergangenheit war die Metapher jedoch selten an der Bildung des Wortschatzes beteiligt. Vor allem in der geschriebenen Sprache wurde die Metapher oft gebraucht und häufig missbraucht. Man kann sich also bei Wortbildungen jüngeren Datums auf Metaphern berufen, jedoch nicht bei den ursprünglichen Bezeichnungen für Dinge oder Tiere. Die Sache wird nach ihrem Aussehen, ihrer Funktion benannt. Eine schwarzweiss gescheckte Kuh heisst auf frz. vache pie, weil sie schwarz und weiss [pie] ist, und ist nicht nach der Elster (frz. pie) benannt.

Die von mir angewandte Methode besteht darin, von einigen sehr einfachen - existierenden und nicht hypothetischen - Grundlagen auszugehen, die der Sprache zugrunde liegen und von denen durch Mutation, Prosthese, Suffixierung oder Wechsel der grammatikalischen Kategorie alle Morpheme abgeleitet wurden, die es gibt oder gegeben hat.

Mit diesen Grundlagen werden die Wörter aufgrund ihrer Ähnlichkeit, unabhängig von Ort oder Sprache, zugeordnet, so dass die phonetische Entwicklung nachvollzogen werden kann. Es wird sich zeigen, dass diese Methode keineswegs chaotisch ist, sondern ein geographisches Muster (pattern) ergibt, das sich fast stereotyp für jedes Semantem wiederholt.

Der semantische Wert der Grundlage ist weder erfunden noch hypothetisch. Er ergibt sich aus der Synthese des gesamten Paradigmas. Jede semantische Kategorie wird von der Reihe von Wörtern gebildet, die gemeinsame morphologische und semische Merkmale aufweisen. Diese morphosemantische Kategorie bildet das Paradigma, eine Gruppe, in der die Wörter zueinander in Beziehung stehen.

Jede theoretische Behauptung dieser Studie beruht auf Fakten, die in den Sprachen und den Dialekten belegt sind. Die Ähnlichkeiten der Wörter in diesen Idiomen wird detailliert definiert, ohne Zuhilfenahme rekonstruierter Prototypen, die dann verschwunden sein sollen.

Heute besteht die gängige, aber keineswegs von allen Linguisten akzeptierte Theorie darin, von einer sehr komplexen hypothetischen Sprache auszugehen, aus der durch Verfall, Verluste und Mutationen die modernen Sprachen entstanden sein sollen. So hat man etwa ernsthaft vorgeschlagen, dass mille von einer hypothetischen Wurzel (s)mghzl(y)o abgeleitet sei. (Für mille 4.7.11 4.7.11 ).

Diesen Prototypen hat man eine Bedeutung gegeben, die zwangsläufig hypothetisch ist: Wie könnte man auch einer fiktiven Rekonstruktion eine reale und präzise Bedeutung geben? Im übrigen hat man sich sehr häufig dieser Prototypen bedient, um Ausdrücke ohne jede semantische Verwandtscahft miteinander in Beziehung zu bringen, wie - um nur einige Vogelnamen zu zitieren - diese Beispiele belegen:

Russisch utja [Ente] mit altgr. nêssa id.

Altgr. kauax [ein Meeresvogel] (den man als "Möwe" präzisiert hat) mit lat. cavannus "chouette" [Eule].

Ahd. huon [Huhn] mit lat. ciconia "cigogne" [Storch].

Skr. pikas [indischer Kuckuck] mit ahd. speh [Specht].

Kymrisch hwyad [Ente] mit skr. vis [Vogel].

Ein weiteres Beispiel unter Tausenden ist die vermutete Beziehung zwischen dem frz. fleur [Blume] und dem engl. blossom [Blüte] über eine hypothetische Wurzel *bhlos-. Die beiden Ausdrücke sind von unterschiedlichen Wurzeln abgeleitet: fleur siehe· 3.1.32.4; blossom siehe ·3.1.19.

Die Annahme, dass unser Wortschatz von einer komplexen "proto-indogermanischen" Sprache abstamme, wie sie durch die hypothetischen Rekonstruktionen dargestellt wird, ist sicherlich falsch. Im Gegenteil, jede Vokabel hat sich durch das Hinzufügen von Affixen und durch Permutationen aus einer einfachen Basis entwickelt, die im Laufe der Jahrtausende bemerkenswert konstant geblieben ist. Die hypothetische Rekonstruktion eines lateinischen oder proto-indogermanischen Wortes ist die speditivste, anscheinend wissenschaftliche, in Wirklichkeit aber oberflächeliche Methode, eine "Etymologie" zu erstellen, die vielleicht jeder Logik entbehrt. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, "stammt" angeblich das frz. oie [Gans] von einem hypothetischen lateinischen Wort avica mit der Bedeutung kleiner Vogel ab - also genau das Gegenteil der Wirklichkeit.

Die starre Rekonstruktion von proto-indogermanischen Wurzeln und der Wissenschaftlichkeitswahn haben die Linguistik dazu gebracht, sich eine falsche Rigorosität zuzulegen, wie man sie sonst nirgends findet. Welchen Wert hat übrigens eine Methode, die es gestattet, albanisch sorrë [Krähe] auf kwerna zurückzuführen? Man kann Wagner (1960:361) nur beipflichten, wenn er erklärt: "non è possibile analizzare quali nomi (codisaitta etc.) con le sole resorse della fonetica".

Die Etymologen haben allzu oft alles den "Regeln der Phonetik" geopfert - selbst die Logik, den gesunden Menschenverstand und die krasseste Offensichtlichkeit. Man hat mit hypothetischen Wörtern jongliert und mit einer ebenso hypothetischen semantischen Entwicklung spekuliert. Wenn es das Wort gibt, muss es auch das Gerüst oder besser das Gebälk geben. Man muss es nur entdecken. Wurzeln soll man nicht fabrizieren, sondern dort suchen, wo sie sind. Die billigen Lösungen sind deshalb zu eliminieren. Die Lexikologie in diesem Werk beruht auf einer akribischen Auswertung. Wenn man sich die Mühe und die Zeit nimmt, sie durchzuführen, erweist sich diese Arbeit als fruchtbar und positiv.

In diesem Werk wird eine bestimmte Zahl von Modellen, von Paradigmen (Matrizen, elementaren Strukturen) beschrieben, die der Konstruktion einer Typologie des europäischen Wortschatzes dienen. Die darin angeführten Grundlagen stellen zwar einen wichtigen Teil der europäischen Grundlagen dar (weitere wird man in den germanischen oder slawischen Sprachen finden, die ich nur in geringem Umfang studiert habe), die Paradigmen selbst sind jedoch keineswegs vollständig. Sie zu ergänzen wird das Werk von mehreren Generationen sein, und letzten Endes wird ein echtes analytisch-semantisches Wörterbuch der europäischen Sprachen nach diesem Modell zu erstellen sein. "Das Problem der Bestandsaufnahmen und ihrer Handhabung ist ein grundlegendes: Wenn man es eines Tages gelöst haben wird, wird die Etymologie den Kinderschuhen entwachsen sein und sich von ihren Mythen befreien. Der Gedanke, dass eine elektronische Maschine der grösste Lexikologe unserer Generation sein wird, ist keineswegs absurd. Denn der kritische Wert einfacher Klassifizierungen ist schon in einer ersten Analyse so gross, dass die Schlussfolgerungen sich von selbst aufdrängen" (Guiraud, S.44). Meine vorliegende Arbeit ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Ich habe in den Listen nur die Ausdrücke aufgeführt, die für die gedankliche Kontinuität und die kontinuierliche Entwicklung des Semantems erforderlich sind. Ein romanischer Ausdruck wird nur für eine romanische Sprache und in der Regel ohne Ableitung angegeben, es sei denn, diese die semantische oder phonetische Entwicklung erhelle.

Da in dieser Studie vorrangig die romanischen Sprachen untersucht werden, nehmen die baskischen, keltischen, germanischen, slawischen oder anderen Wörter bei diesen Wortbildungen natürlich nur einen marginalen Platz ein. Ein gründliches Studium der germanischen Sprachen hätte die Konstruktion dieser Paradigmen zwar etwas beeinflusst, aber das Prinzip nicht geändert; vor allem hätte es sie erheblich verbessert. Eine derartige Erweiterung des Forschungsgebiets war jedoch für einen Einzelforscher eine physische und materielle Unmöglichkeit.

Für die Erstellung eines Paradigmas muss man zuerst das Wort auf die Grundlage zurückführen, deren Semantik man kennt. Die Richtung der Entlehnung, falls es eine gibt, oder der Ursprung des Substrats werden in der Folge erkennbar.

Ein Wort kann nur dann in ein Paradigma aufgenommen werden, wenn es klar und eindeutig der Semantik der Grundlage entspricht. Deshalb werden durch die Einordnung des Wortes in die Wortbildung die zweifelhaften oder unlogischen Etymologien ausgeschaltet. Um A. Rey zu paraphrasieren, geht es nicht darum zu leugnen, dass grive [Drossel] von graecus (oder oie [Gans] von avica) abstammt, sondern darum zu zeigen, dass dieser Ursprung keinen Erklärungsgehalt hat. Ein internes Kausalitätsbündel ersetzt hier einen einmaligen externen Grund - den Grund, der hinter dem Symbol steht. Das Ziel der Etymologie ist es, den Kausalzusammenhang zwischen Phonem und Bedeutung aufzuzeigen.

Gegenstände oder Tiere, die den gleichen Namen (oder eine Variante) haben, müssen, mit Ausnahme von phonetischen Konvergenzen, ein gemeinsames Merkmal besitzen. Dieses Merkmal ist ihr gemeinsamer Nenner, dessen Bedeutung in den Dialekten durch adjetivische Ausdrücke bestätigt werden kann.

Aus einem Paradigma ergibt sich die Kontinuität der phonetischen Entwicklung (zweite Rubrik) und des Gedankens (dritte Rubrik). In der ersten Rubrik sind die Idiome nicht in chaotischer Weise vertreten, sondern in der Reihenfolge ihrer Verwandtschaft, die sich in den anderen Paradigmen wiederholt.

Gewisse Fachleute werden vielleicht mit Verwunderung feststellen, dass die von mir erarbeiteten Ableitungen auch eine bestimmte Zahl von aussereuropäischen Ausdrücken umfassen. Es ist nicht das Ziel dieser Studie, den gemeinsamen Ursprung oder die Einheitlichkeit der Sprachen aufzuzeigen. Um die Aufnahme dieser Ausdrücke zu rechtfertigen und als Hinweis für diejenigen, die vielleicht ungläubig sind und vorgefasste Meinungen haben, möchte ich nachstehend einige von den seriösesten neueren Arbeiten über die Verwandtschaft der Sprachen anführen:

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